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30 Apr. 2025 von lbigmr

Syrien im Wiederaufbau – Platz für die Menschenrechte?

Ein hochkarätiges Panel diskutierte im Rahmen eines Human Rights Talks über die Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zu einem freien Syrien.

Nach mehr als 13 Jahren Krieg und über 50 Jahren Assad-Herrschaft überschlugen sich in Syrien Ende 2024 die Ereignisse. Seit dem Sturz der Diktatur durch islamistische Rebellen hofft die Bevölkerung auf ein neues Kapitel in Frieden und Freiheit. Syrien steht vor der Herausforderung, einen neuen Staat aufzubauen. Doch die politische und humanitäre Lage bleibt angespannt. Wie kann es nach jahrzehntelanger Gewalt gelingen, Gerechtigkeit und Frieden herzustellen?  Ist Syrien nun ein „sicheres Land“, sodass der Rückkehr Geflüchteter nichts im Wege steht? Was braucht es für eine freie und demokratische Zukunft? Und wie kann die Wahrung der Menschenrechte gesichert werden?

Hochrangige Expert:innen diskutierten am 29. April 2025 unter großem Publikumsinteresse an der Diplomatischen Akademie Wien kontrovers über Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zu einem freien Syrien. Die Veranstaltung fand auf Einladung des Ludwig Boltzmann Instituts für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR), der Universität Wien, der Österreichischen Liga für Menschenrechte und von Amnesty International Österreich statt.

„Die Welt hofft“, brachte Michael Lysander Fremuth, Wissenschaftlicher Direktor des LBI-GMR und Professor für Grund- und Menschenrechte an der Universität Wien, eingangs den Status quo auf den Punkt. „Syrien ist für den Westen eine Black Box“, wies er auf die unübersichtliche Lage hin. Umso wichtiger, sich diesem von Diktatur und Krieg gebeutelten Land mit so reicher Geschichte zu widmen, waren sich alle Anwesenden einig.

In seiner Keynote gab Peter Krois, bis November 2024 Missionschef der Österreichischen Botschaft in Damaskus, einen packenden Überblick über die Zeit vor und nach der „Stunde null“ – dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024. Syrien brauche einen Dialog auf Augenhöhe und keine neue One-Man-Show, so Krois. „Entweder es gibt Platz für die Menschenrechte im neuen Syrien, oder es wird kein neues Syrien geben“, fand er deutliche Worte.

Banan Sakbani, Jus-Studentin, Autorin und Musikerin, ist in Damaskus geboren und lebt seit 2017 in Österreich. Sie plädierte in oft leidenschaftlichen Worten dafür, der Übergangsregierung Zeit zu geben. „Demokratieaufbau dauert“, stellte sie fest. Um Frieden zu sichern, sei es nötig, mit allen zu sprechen und Menschen zu verzeihen, so Sakbani. Ebenfalls hielt sie fest, dass die Übergangsregierung bislang keine plausible Gewaltentrennung implementiert habe.

Die neuen syrischen Machthaber seien Dschihadisten aus der Al-Qaida-Tradition, zeigte sich Walter Posch, Orientalist und Experte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie, hingegen kritisch. „Die jetzige Regierung war die pragmatischste Lösung“, so der Sicherheitsexperte.

Abdulhkeem Alshater, Mitbegründer des Vereins Freie Syrische Gemeinde Österreichs, warnte davor, Menschen zum aktuellen Zeitpunkt nach Syrien abzuschieben. Man müsse den Aufbau eines demokratischen, freien Systems abwarten, wies Alshater auf die noch volatile Lage hin. In diesem Hinblick sei die Herstellung von Gerechtigkeit das Um und Auf.

Auch Christoph Pinter, Leiter des Österreich-Büros des UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR), betonte, dass aktuell nicht der richtige Zeitpunkt für großangelegte Rückführungsprogramme nach Syrien sei. Das Land liege in Trümmern.

Ein Patentrezept, wie ein Neuanfang gelingen könne, gebe es nicht, so Frank Haldemann, Forscher und Experte für Transitional Justice an der Universität Freiburg in der Schweiz. Was es brauche, seien die Eckpfeiler Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung. Die Lösung sieht er im Kompromiss. Dieser wirke zwar oft „wischiwaschi“, sei aber gleichzeitig der Anfang, um den ehemaligen Feind als Verhandlungspartner zu akzeptieren.

Auch in der angeregten Publikumsdiskussion wurde deutlich, dass die weiteren Entwicklungen in Syrien ebenso immense Auswirkungen auf die Nachbarstaaten und die ganze Welt haben werden. So schloss sich der Kreis zum Anfang der Veranstaltung, als Peter Krois ein arabisches Sprichwort zitierte: „Schau dir zuerst den Nachbarn an, bevor du dir das Haus ansiehst“.

Durch den Abend führte ORF-Redakteurin Rosa Lyon, die als eine von wenigen westlichen Journalist:innen bereits vor dem Sturz des Assad-Regimes selbst aus Syrien berichten konnte. Im Anschluss an die Publikumsdiskussion luden die Veranstalter zum geselligen Austausch, wo angeregt weiterdiskutiert wurde.

Die Human Rights Talks verstehen sich als Plattform für den gesellschaftlichen Diskurs zu aktuellen Themen mit menschenrechtlicher Relevanz. Die Veranstaltungen präsentieren der interessierten Öffentlichkeit hochkarätige Vortragende und analysieren menschenrechtliche Herausforderungen sowie gesellschaftspolitische Strömungen differenziert und mit fachlicher Expertise, zugleich aber auf zugängliche Weise und mit Praxisbezug. Wichtiger Bestandteil des Formats ist neben inhaltlichen Beiträgen die interaktive Publikumsdiskussion.

a. © Elena Azzalini