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03 Mrz 2022 von lbigmr

Gastkommentar von Ana Zdravković: Peking 2022 – Nichts als Sportswashing?

Unsere Gastwissenschaftlerin Ana Zdravković hat sich die Olympischen und Paralympischen Spiele 2022 in Peking aus der Perspektive der Menschenrechte genauer angesehen und einen Kommentar hierzu verfasst. Über die die Lage der Menschenrechte in China, den Beobachterstatus des IOC und Sportswashing lesen Sie hier.

PEKING 2022: NICHTS ALS SPORTSWASHING?
– von Ana Zdravković

Durch die Olympischen Winterspiele und Paralympics 2022 in Peking zieht sich ein roter Faden, der nichts mit Sport zu tun hat, sondern mit einem Thema, das die gesamte internationale Gemeinschaft mit Sorge erfüllt: die Lage der Menschenrechte in China. Nicht nur haben viele Länder wie etwa die USA, Großbritannien und Kanada einen diplomatischen Boykott der Spiele erklärt, sondern es gab auch breite Proteste von Bürger*innen und Nichtregierungsorganisationen in Indien, der Türkei und Japan. Der Grund dafür sind vermutete Menschenrechtsverletzungen und internationale Verbrechen, die das Gastgeberland China gegen die Uiguren, Kasachen und andere meist muslimische Minderheiten begangen haben soll. Einer der schwerwiegendsten Vorwürfe ist die wahrscheinliche Existenz von Internierungslagern auf dem chinesischen Festland, in denen diese ethnischen Gruppen vermutlich festgehalten, gefoltert, zwangssterilisiert und für Zwangsarbeit ausgebeutet werden. Zugegebenermaßen sind diese Vorwürfe nicht neu, aber im Lichterglanz der Olympischen Spiele und im Schimmer des Pekinger Kunstschnees sind sie wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Sicherlich sind diese Vorwürfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein in Bezug auf alle völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Chinas Regierung. Abgesehen von den Vorwürfen weit verbreiteter Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten gibt es Berichte über verschiedenste Freiheitseinschränkungen, die den Menschen in Hongkong auferlegt werden; außerdem stehen die Unterdrückung der Medienfreiheit, die willkürliche Inhaftierung von Aktivist*innen, die allgegenwärtige Massenüberwachung, das  Verschwindenlassen von Regimekritiker*innen sowie nicht zuletzt die rätselhaften Vorkommnisse rund um die Tennisspielerin Peng Shuai im Raum.

Die Relevanz dieser Themen für den Sport und die olympischen Wettkämpfe könnte man in Frage stellen und diskutieren, ob Sportangelegenheiten von Recht und Politik getrennt werden sollten. Es ist jedoch anzumerken, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC), also der Dachverband der Nationalen Olympischen Komitees und die für die Organisation moderner Olympischer Spiele zuständige Behörde, von der UN-Generalversammlung im Jahr 2009 Beobachterstatus erhalten haben. Damit wurden die Bemühungen des IOC um die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen gewürdigt, bei denen es vor allem um Menschenrechtsfragen geht. Darüber hinaus wurde betont, dass die olympischen Werte eindeutig mit der UN-Philosophie übereinstimmen. Es bleibt jedoch unklar, wie die Ausrichtung der Spiele in einem Land, das möglicherweise einige der wichtigsten internationalen Verträge verletzt, zur Erfüllung der UN-Menschenrechtsziele beitragen soll. Sollte sich einer der oben beschriebenen Vorwürfe als zutreffend erweisen, könnte dies einen Verstoß gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Übereinkommen gegen Folter oder das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung darstellen, die alle unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen verabschiedet wurden und von China ratifiziert sind. Sollte sich zudem herausstellen, dass die olympischen Aktivitäten negative Auswirkungen auf die Menschenrechte haben, könnte man annehmen, dass das IOC und die Unternehmen, die die Spiele sponsern, gegen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verstoßen.

Darüber hinaus hat das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) seit 2018 um einen Besuch in China gebeten, um die Situation vor Ort zu untersuchen. Obwohl das Büro den Menschenrechtsbericht aus der Ferne überwacht und vorbereitet hat, vor allem durch das Sammeln und Auswerten von Beweisen, Zeugenaussagen und Berichten von Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Nichtregierungsorganisationen vorbereitet hat, ist der ungehinderte Zugang zu Institutionen und Einrichtungen ein Standardverfahren, das eine objektive und tiefgreifende Analyse ermöglicht. Im Gegensatz zu 128 anderen UN-Mitgliedsstaaten hat China jedoch keine so genannte „ständige Einladung“ ausgesprochen, die bedeutet, dass das Land Anfragen für derartige Besuche immer annehmen wird. Infolgedessen muss das OHCHR eine ausdrückliche Zustimmung der Regierung zur Durchführung von Untersuchungen vor Ort einholen, die China bisher verweigert hat.

Andererseits gibt es auch ein Licht am Ende des Tunnels. Jetzt, da China wegen der Winterspiele in Peking im Rampenlicht steht, hat die internationale Gemeinschaft die Chance, den Druck zu erhöhen, was sogar zu einer Art Besuchsvereinbarung mit dem UN-Hochkommissar führen könnte. Andernfalls könnte sich der Vorwurf, dass die Austragung der Olympischen und Paralympischen Spiele in China nur dem Zweck des „Sportswashings“ dient, als begründet erweisen, ebenso wie die Annahme, dass die lukrativen Motive des IOC die lang gehegten olympischen Werte in den Schatten stellen. Der Begriff „Sportswashing“ bezieht sich auf die absichtliche Ablenkung von Menschenrechtsfragen und Korruptionsangelegenheiten durch die Ausrichtung großer oder prestigeträchtiger Sportereignisse mit dem Ziel, die Reputation des Veranstalterlandes auf globaler oder lokaler Ebene zu verbessern. Vereinfacht ausgedrückt: Es handelt sich um nichts anderes als eine raffinierte Form der Propaganda. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht die Gunst der Stunde nutzt, um die Menschenrechte zu fördern und zu schützen, wird Peking 2022 als ein weiteres Beispiel für Sportswashing in die Geschichte eingehen, an dem wir alle teilgenommen haben. Und sollte das nicht schon beunruhigend genug sein, bleibt abzuwarten, was bis zum Ende der Spiele in Bezug auf die (Miss-)Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Medienfreiheit und der angeblichen High-Tech-Überwachung, die insbesondere Gäste und Ausländer*innen betrifft, ans Licht kommen wird.
(Übersetzung aus dem Englischen von Franziska Wangler)

Ana Zdravković, LL.M., wurde 1993 in Belgrad geboren. Nach ihrem Bachelorstudium an der Juristischen Fakultät der Universität Belgrad, schloss sie ihr Masterstudium in „Internationales Recht und Menschenrechte“ an derselben Fakultät im Jahr 2017 mit Auszeichnung ab. Noch im selben Jahr begann sie ihr Promotionsstudium in „Internationalem Recht und Menschenrechte“ an ihrer Alma Mater. Sie nahm an verschiedenen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Konferenzen teil, auf denen sie ihre Forschungsergebnisse und wissenschaftlichen Arbeiten vorstellte, die sich meist mit verschiedenen Themen des Völkerrechts und der Menschenrechte befassten. Derzeit forscht Frau Zdravokovic als Gastwissenschaftlerin im Rahmen ihres Promotionsstudiums am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR) zum Thema „Absolute Human Rights“.

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