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20 Jun 2024 von lbigmr

Zwangsverheiratung in Österreich als unterschätztes Phänomen

Forschungsprojekt FORMA präsentiert erste Studie zur Situation in Österreich und empfiehlt vielfältige Maßnahmen.

Am Montag, 17. Juni 2024, präsentierte ein multidisziplinäres Forschungsteam in Wien erstmalig einen Lagebericht zur Zwangsverheiratung in Österreich. Nach eineinhalb Jahren intensiver Forschung im Rahmen des Projekts FORMA (Forced Marriages) sieht das Team, bestehend aus Expert:innen der Caritas, des Vereins Orient Express, der Universität Wien sowie des Ludwig Boltzmann Instituts für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR) dringenden Handlungsbedarf.

Laut internationalen Studien sind zumindest 22 Millionen Menschen weltweit von Zwangsverheiratung betroffen, davon neun Millionen Kinder. Auch in Österreich kommt es zu dieser gravierenden Menschenrechtsverletzung. Das tatsächliche Ausmaß blieb bisher jedoch weitgehend unbekannt. Zwangsverheiratungen werden häufig im persönlichen Lebensbereich vorbereitet und durchgeführt, mit vielfältigen Abhängigkeitsverhältnissen, was Erfassung, Opferschutz und Strafverfolgung erschwert.

Um die Situation hierzulande zu erheben, führten die Forscher:innen qualitative Interviews mit Expert:innen und Betroffenen, analysierten rund 370 Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und werteten 129 Akten der Frauenberatungsstelle Orient Express aus. In 70 Prozent der untersuchten Fälle von Orient Express waren Personen von Zwangsheirat bedroht oder betroffen. In allen Fällen haben Betroffene psychische Gewalt erlebt, in 90 Prozent der Fälle kam es auch zu physischer Gewalt.

Das Forschungsteam rät zu verstärkter Zusammenarbeit zwischen Opferschutzeinrichtungen und Schulen sowie mehr Aufklärung und Bewusstseinsarbeit, besonders bei jungen Menschen. „In Übereinstimmung mit internationalen menschenrechtlichen Standards empfehlen wir dringend, das Mindestalter für Eheschließungen auf 18 Jahre anzuheben und Beratungsangebote für Ehekandidat:innen auszubauen, damit sie mehr über rechtliche Gegebenheiten erfahren“, betont Helmut Sax, Kinderrechtsexperte und Senior Researcher am LBI-GMR. Zentral sei auch ein bundesweiter Ausbau von niederschwelligen Anlaufstellen mit mehrsprachiger psychosozialer Beratung, so die Expert:innen. Um das Problem der Zwangsverheiratung in Zukunft besser erforschen zu können, fordert das Forschungsteam eine systematische Erhebung gendersensibler Daten und Statistiken zu Verdachtsfällen von Zwangsheirat.

Das Projekt FORMA wird im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres sowie der Frauen- und Gleichstellungssektion im Bundeskanzleramt und mit finanzieller Unterstützung der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) umgesetzt.

Der vollständige Endbericht wird Anfang Juli 2024 veröffentlicht.

a. © Caritas