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19 Dez 2023 von lbigmr

Neue Studie gibt Empfehlungen für den heimischen Maßnahmenvollzug

Expert:innen kritisieren insbesondere die Dauer des Freiheitsentzugs sowie den Mangel an Therapieangeboten und entsprechendem Fachpersonal.

Im kürzlich veröffentlichten Forschungsbericht „Gerechtigkeit für alle – Stärkung der Rechte von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen im strafrechtlichen Freiheitsentzug“ (siehe Downloadbereich) gibt unsere Kollegin Bernadette Fidler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR), einen Überblick über die diesbezüglich geltende heimische Rechtslage. Besondere Berücksichtigung findet das mit Jahresmitte in Kraft getretene Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz. Die Wissenschaftlerin analysiert gegenwärtige Missstände, thematisiert vielversprechende Praktiken und formuliert Empfehlungen zur Stärkung der Rechte von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen. Neben der Auseinandersetzung mit dem österreichischen Maßnahmenvollzug beschäftigt sie sich auch mit der Umsetzung relevanter EU-Rahmenbeschlüsse zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafverfahren (u.a. dem Europäischen Haftbefehl).

Der Bericht ist Teil eines gleichnamigen, in Zusammenarbeit mit fünf europäischen Partnerorganisationen umgesetzten und von der EU finanzierten Forschungsprojekts. Kritisiert werden darin unter anderem der unlimitierte Freiheitsentzug im strafrechtlichen Kontext sowie der Mangel an Therapieangeboten und entsprechendem Fachpersonal. Ferner thematisiert die Studie die Qualität der Sachverständigengutachten sowie die Notwendigkeit, Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen während der Unterbringung entsprechend rechtlich zu vertreten. Auch kamen zahlreiche im Zuge der Forschungstätigkeit befragte Expert:innen zu dem Ergebnis, dass es als präventive Maßnahme einer verstärkten (u.a. therapeutischen und medizinischen) Unterstützung im Rahmen des Gesundheitssystems bedarf. So könne gewährleistet werden, dass betroffene Personen rechtzeitig Unterstützung und Behandlung bekommen und dadurch auch strafbare Handlungen verhindert werden können, die eine Unterbringung im Maßnahmenvollzug zur Folge haben könnten. Positiv wurden die Möglichkeit der Abhaltung einer Sozialnetzkonferenz sowie die Krisenintervention festgehalten. Zudem soll die neue Bestimmung zum vorläufigen Absehen vom Vollzug dazu führen, dass Alternativen zum Freiheitsentzug in jedem Fall konkret geprüft werden. „Insgesamt bleibt abzuwarten, welche Veränderungen das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz in der Praxis bringen wird“, zeigt sich Bernadette Fidler gespannt. Fraglich sei auch, wann der versprochene zweite Teil der Reform (der unter anderem den Vollzug selbst und auch das Angebot an Therapiemöglichkeiten reformieren soll) erscheinen wird, so die Wissenschaftlerin weiter.

Über das Projekt
Das Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte hat im Zeitraum Jänner 2022 bis Dezember 2023 gemeinsam mit fünf Partnerorganisationen aus Bulgarien, Deutschland, Italien, Litauen und Slowenien das Projekt „Gerechtigkeit für alle“ umgesetzt. Dieses beschäftigte sich mit den Rechten von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen im strafrechtlichen Kontext. Insbesondere wurden der strafrechtliche Freiheitsentzug sowie Alternativen zum Freiheitsentzug beleuchtet. Die Forschung umfasste unter anderem zahlreiche Konsultationen mit Stakeholder:innen sowie Expert:innen-Interviews. Auf nationaler österreichischer Ebene standen insbesondere Bestimmungen betreffend den Maßnahmenvollzug im Fokus. Das Projekt wurde kofinanziert durch das Justizprogramm der Europäischen Union und den Zukunftsfonds der Republik Österreich sowie auf nationaler Ebene durch das Bundesministerium für Justiz und das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz der Republik Österreich. Ein Video zum Projekt ist hier abrufbar.

Zum Hintergrund
Die strafrechtliche Unterbringung von Personen mit intellektuellen und/oder psychosozialen Beeinträchtigungen erfolgt in Österreich im Rahmen des sogenannten Maßnahmenvollzugs. Hierfür sind eigene Sonderanstalten bzw. -abteilungen eingerichtet. Die Umsetzung ist umstritten. Nach mehrmaligen Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte trat in Österreich Mitte 2023 das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 in Kraft. Es stellt den ersten Teil der Reform des Maßnahmenvollzugs in Österreich dar und brachte einige Anpassungen im Hinblick auf die Voraussetzungen der strafrechtlichen Unterbringung, verfahrens- bzw. prozessuale Änderungen, Neuerungen etwa hinsichtlich der Krisenintervention und die Möglichkeit der Abhaltung von Sozialnetzkonferenzen. Zahlreiche Bereiche blieben allerdings unverändert. Insbesondere die Unterbringung selbst, Therapieangebote sowie die Voraussetzungen für bedingte Entlassung blieben unberührt und sollen erst im Rahmen des zweiten Teils der Reform angepasst werden. Wann dieser zweite Teil kommen soll, ist noch offen.