Projektpräsentation „Flightrisk: Beurteilung der Fluchtgefahr bei der Untersuchungshaft“
Zwei Jahre lang wurde in fünf EU-Mitgliedsstaaten zum Thema Fluchtgefahr und Untersuchungshaft geforscht, nun wurden die österreichspezifischen Ergebnisse präsentiert.
Das Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR) lud am Mittwoch, 5. Juni 2024, zur Präsentation der Forschungsergebnisse des Projekts „Flightrisk: Beurteilung der Fluchtgefahr bei der Untersuchungshaft“ im Presseclubs Concordia ein.
Die Überbelegung von Gefängnissen ist ein seit Jahren bekanntes gesamteuropäisches Phänomen, das unmenschliche und erniedrigende Behandlungen während der Haft begünstigt. Die Reduzierung der Untersuchungshaft ist eine nachhaltige Lösung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Das Projekt „FLIGHTRISK: Beurteilung der Fluchtgefahr bei der Untersuchungshaft“ des LBI-GMR setzte an genau diesem Punkt an. Es untersuchte in den vergangenen zwei Jahren in fünf EU-Mitgliedsstaaten (Belgien, Bulgarien, Irland, Polen und Österreich) den EU-weit häufigsten Grund für die Verhängung von Untersuchungshaft: die Fluchtgefahr. Der nun präsentierte Bericht des LBI-GMR fasst die Erkenntnisse aus dem Projekt für Österreich zusammen.
Besonders kritisch wurde hervorgehoben, dass bei Personen ohne österreichischer Staatsangehörigkeit oft pauschal eine Fluchtgefahr angenommen wird. So waren im Jahr 2021 etwa 64% der in Untersuchungshaft befindlichen Personen ausländische Staatsangehörige, was auf systemische Herausforderungen hinweist. Zudem zeigt sich insgesamt, dass gelindere Mittel nicht ausreichend genutzt werden. Betont wurde daher die Notwendigkeit, Schulungsangebote auszuweiten, um Richter:innen sowie Staatsanwält:innen stärker zu sensibilisieren. Das Ziel muss eine fairere und individuellere Beurteilung sein. Es wurde auch empfohlen, den Fokus stärker auf Alternativen zur Inhaftierung zu legen, wie Kaution, Meldeauflagen oder Aufenthaltsbeschränkungen. Der elektronisch überwachte Hausarrest wurde als weitere Option angeführt. Die Verhängung der Untersuchungshaft und somit der Freiheitsentzug stellen das härteste aller juristischen Mittel dar und sollten folglich sorgfältig abgewogen werden. Im Zuge der Präsentation wurde die Dringlichkeit betont, verstärkt Alternativen zu nutzen und die individuelle Prüfung der Fälle zu intensivieren, um Inhaftierungen zu vermeiden.
„Unsere Forschung zeigt, dass eine detailliertere und individuellere Prüfung der Fluchtgefahr notwendig ist, um eine gerechtere Anwendung der Untersuchungshaft zu gewährleisten“, erklärt Hauke Benjes-Pitcz, wissenschaftlicher Mitarbeiterin am LBI-GMR. „Wir hoffen, dass unsere Empfehlungen dazu beitragen, die Praxis zu verbessern und die Rechte der Beschuldigten zu stärken.“
Anschließend stellte die Partnerorganisation „Fair Trials“, die globale Beobachtungsstelle für Strafjustiz, die Analyseergebnisse aus den Partnerländern Belgien, Bulgarien, Irland und Polen sowie relevante Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vor. Die Veranstaltung endete mit einer Podiumsdiskussion, bei der die Forschungsergebnisse, Empfehlungen und Best-Practice-Beispiele aus Österreich und den Partnerländern im Kontext der EGMR-Rechtsprechung gemeinsam mit Rechtspraktiker:innen diskutiert wurden.